HALLO, ICH BIN CHATGPT

HALLO, ICH BIN CHATGPT

VON STEFANIE SCHMID
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 02 im April 2023)

Das US-amerikanische Unternehmen OpenAI mit Investoren wie Microsoft und Elon Musk sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Denn das im November letzten Jahres lancierte Sprachmodell ChatGPT führt derzeit vor, was Künstliche Intelligenz in Zukunft leisten kann. 

ChatGPT ist ein künstliches Sprachmodell, das von OpenAI entwickelt wurde. Es basiert auf einem tiefen neuronalen Netzwerk und Machine Learning-Techniken, die es ihm ermöglichen, Konversationen zu führen. Das Sprachmodell wurde auf der Grundlage einer riesigen Menge an Daten aus dem Internet trainiert und kann die menschliche Sprache in all ihren Nuancen und Feinheiten verstehen und darauf reagieren. Es hat das Potenzial, die Art und Weise zu verändern, wie wir mit Technologie interagieren, und bietet eine Vielzahl von Chancen und Herausforderungen für die Zukunft.

Diese Kurzbiografie stammt von ChatGPT selbst. In Anbetracht der Tatsache, dass der Chatbot für solche Anfragen und Texte nur wenige Sekunden benötigt, ist es nicht überraschend, dass die ganze Welt von dem neuen OpenAI-Tool spricht – und Fragen nach den Chancen und Risiken aufkommen. In diesem Artikel möchten wir daher einen kleinen Überblick darüber geben, was das KI-Tool ChatGPT leisten kann und welche spannenden Anwendungsbereiche sich daraus für die Zukunft ergeben können. Mira Murati, CTO bei OpenAI und eine der Köpfe hinter ChatGPT, äußerte sich zum Potenzial des KI-Tools für den Bereich Bildung in einem Interview mit der TIME folgendermaßen:

„[…] Ich denke, wir können jetzt schon das Potenzial erahnen, wie es die Art und Weise revolutionieren wird, wie wir lernen. In Klassenzimmern sitzen typischerweise um die 30 Menschen. Jeder hat seinen eigenen Hintergrund, seine eigene Lernweise und jeder bekommt mehr oder weniger den gleichen Lernplan vorgesetzt. Mit Tools wie ChatGPT kannst du dich endlos mit einem Modell unterhalten, das sich an deine Verständnisebene anpasst, um ein Konzept zu verstehen. Das hat ein immenses Potenzial, uns dabei zu helfen, Bildung zu personalisieren.“

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Gekommen, um zu bleiben

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Generative KI-Tools sind per se nicht neu und werden schon seit Längerem in einzelnen Unternehmensbereichen eingesetzt, insbesondere im Kundendienst und im Marketing. Chatbots können bereits ohne menschliches Zutun mit Kunden in einen Dialog treten, Bestellungen aufnehmen oder stornieren und sogar personalisierte Empfehlungen abgeben. Außerdem werden generative KI-Tools bei der Kreation von Marketingtexten und -bildern oder für SEO-Zwecke eingesetzt, um die Produkt- und Markenkommunikation sowie die Kundenansprache zu optimieren. Darüber hinaus konnten sich solche KI-Lösungen jedoch noch nicht durchsetzen, was unter anderem damit zu tun hat, dass die dahinterstehenden Technologien noch in den Kinderschuhen stecken und die Tools ohne menschliche Superversion nicht gut abschneiden.

ChatGPT bringt als generatives KI-Tool nun zwei Besonderheiten mit sich. Es handelt sich dabei um ein besonders leistungsfähiges Sprachmodell, das in er Lage ist, mit Nutzern in einen komplexen Dialog zu treten und dabei Texte zu generieren, die in vielen Fällen nur schwer von menschlichen Kreationen zu unterscheiden sind. Außerdem ist ChatGPT als Chatbot öffentlich und kostenlos zugänglich, sodass er schon jetzt im (Arbeits-)Alltag vieler Menschen als Hilfstool für Recherche- und Textarbeiten angekommen ist. Ohne Makel ist ChatGPT allerdings nicht. Das Sprachmodell wurde auf Basis von Daten bis zum Jahr 2021 trainiert, was bedeutet, dass es auf aktuelle Informationen und Wissen über die jüngsten Entwicklungen und Ereignisse nicht zugreifen kann. Außerdem können die Quellen, auf die es zugreift, durchaus falsch und inkonsistent sein – und eine Garantie für Datenschutz oder Vertraulichkeit gibt es vom Hersteller OpenAI ebenfalls nicht. Mit Blick auf den Arbeitsalltag empfehlen Experten Arbeitgebern dennoch, sich offen gegenüber dem neuen Tool zu zeigen und zeitig Unternehmensrichtlinien für den Umgang mit ChatGPT zu formulieren – anstatt dessen Nutzung aufgrund der genannten Einschränkungen und Risiken zu verbieten und damit eine Schattennutzung zu provozieren. Solche Richtlinien könnten beinhalten, dass die Mitarbeiter ChatGPT nur für interne Arbeiten verwenden sollten, den Einsatz von persönlich identifizierbaren Unternehmens- und Kundeninformationen besser unterlassen und die eingesetzten Informationen idealerweise so behandeln, als ob sie sie auf einer öffentlichen Webseite oder Social-Media-Plattform posten würden. Wird ChatGPT als Recherchetool am Arbeitsplatz eingesetzt, sollte außerdem immer eine zusätzliche Überprüfung der Informationen und Quellen stattfinden.

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Ein Blick in die Zukunft

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Auch der Softwareriese Microsoft, der mit seinen Multi-Milliarden-Investitionen als wichtigster Partner von OpenAI gelten kann, hat mit seinen ChatGPT-Plänen in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Microsoft hatte bereits im Februar dieses Jahres die ChatGPT-Technologie im Rahmen einer Testphase in die Suchmaschine Bing integriert – und damit den unangefochtenen Suchmaschinen-König Google herausgefordert. Bing soll künftig direkte Antworten auf Suchanfragen liefern anstelle einer Liste von Links. In naher Zukunft will Microsoft außerdem seine Office-Anwendungen um das Sprachmodell erweitern.

Doch nicht nur große Softwareunternehmen wie Microsoft stürzen sich auf die ChatGPT-Technologie. Nach eigenen Angaben hat die Mediaagentur Havas Media als erste Agentur in Deutschland ein Wissenstool mit einer Schnittstelle zu ChatGPT entwickelt, um ihren Mitarbeitern einen effizienten Zugang zu den neuesten Erkenntnissen aus der Medien- und Marketingforschung bereitzustellen. Über die sogenannte Meaningful Media Machine können kuratierte Inhalte wie Whitepaper und wissenschaftliche Artikel aus der weltweiten Havas Media Wissensdatenbank Agora und andere Quellen abgerufen werden. Das Tool soll zunächst nur betriebsintern Anwendung finden, damit Kunden gezielt beraten und deren Marketing- und Medienstrategien optimiert werden können. Florian Teschner, Head of Data bei Havas Media und Entwickler der Meaningful Media Machine, teilte in einem Statement jedoch mit, dass das Tool mittelfristig auch Kunden zugänglich gemacht werden soll.

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Ist das der Durchbruch?

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Prof. Dr. Katharina Zweig zählt zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und beriet als Mitglied der Enquete-Kommission den Bundestag hinsichtlich der gesellschaftlichen Auswirkung des zunehmenden Einsatzes von KI-Technologien. Auch wenn ChatGPT ihrer Meinung nach schon viele Chancen mit sich bringt, hält sie die Euphorie um die Software für verfrüht.

„ChatGPT ist eine beeindruckende Software, die zeigt, was die großen Sprachmodelle zu leisten vermögen. Um ihre Chancen zu nutzen, muss man sie allerdings richtig einsetzen: Keins der Sprachmodelle weiß, was die Begriffe bedeuten, die sie verwenden – daher ist ChatGPT keine Suchmaschine, kein Nachschlagewerk und sollte auch nicht so eingesetzt werden. Die von ihm fabrizierten Fakten werden halluziniert, zusammengewoben aus vielen Impressionen, die die Maschine während ihres Trainings erhielt. Keine der Quellen, die das Sprachmodell GPT-3 „gelesen“ hat, sind noch in seinem Elektronengehirn, übrig bleiben nur Wahrscheinlichkeiten für Wörter in bestimmten Kontexten. Das ist aber völlig ausreichend, um hervorragende Marketingtexte zu schreiben, sich Gute-Nacht-Geschichten für Schulkinder erfinden zu lassen oder eine kreative Geschäftsidee auszutüfteln. Darin liegt im Moment die Chance. Richtig spannend werden Sprachmodelle werden, wenn wir sie mit anderer Software zusammenbringen können, die faktisch arbeitet: Wenn wir beispielsweise Statistikprogramme damit bedienen können, ohne dass uns die Programmiersprache bekannt ist, oder wenn damit in Suchmaschinen mit natürlicher Sprache besser gesucht werden kann – aber das Beispiel Bing GPT zeigt, dass der Weg dahin noch ein steinig werden könnte.“

Auch der Sprachwissenschaftler und Philosoph Noam Chomsky hat sich jüngst zu den Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz geäußert. In seinem Essay „The False Promise of ChatGPT“ räumt er zwar ein, dass Programme wie ChatGPT in bestimmten Arbeitsfeldern nützlich sein könnten, mit Blick auf die Frage nach dem vermeintlichen Durchbruch im Bereich der Künstlichen Intelligenz fällt er jedoch ein vernichtendes Urteil. Die Programme würden sich grundlegend von der Funktionsweise des menschlichen Geistes unterscheiden und könnten deshalb niemals eine Intelligenz erreichen, wie wir sie vom Menschen kennen – geschweige denn diese übertreffen.

„Sie [Die Programme] generieren entweder zu viel (sie produzieren sowohl Wahrheiten als auch Unwahrheiten und unterstützen sowohl ethische als auch unethische Entscheidungen) oder zu wenig (sie verpflichten sich zu keiner Entscheidung und sind den Konsequenzen gegenüber gleichgültig). Angesichts der Amoralität, der Scheinwissenschaft und der sprachlichen Inkompetenz dieser Systeme können wir über ihre Beliebtheit nur lachen oder weinen.“ Wie sich die Welt durch generative KI-Tools wie ChatGPT entwickeln wird, ist letztlich schwer vorherzusehen. Sicher ist jedoch, dass weitere KI-Tools auf den Markt kommen und die Arbeitswelt prägen werden. So wurde erst kürzlich auch schon die nächste Version von ChatGPT, GPT-4, veröffentlicht, die neben Texten nun auch Bilder verarbeiten kann. Zugänglich ist diese Version bisher allerdings nur für ChatGPT-Plus-Abonnenten.

Ob für das schnelle Auffinden von Informationen, für das Schreiben von Marketingtexten oder für die Transkript-Erstellung nach einem Online-Meeting – Künstliche Intelligenz kann in vielen Bereichen eingesetzt werden und die Hoffnung ist, dass deren Einsatz den Arbeitsalltag derart erleichtert, dass den Mitarbeitern mehr Zeit für solche Aufgaben bleibt, die intellektuelle Einsicht, künstlerische Kreativität und moralisches Urteilsvermögen voraussetzen und daher nur von Menschenhand bewerkstelligt werden können. 

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Back to the Roots

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Unabhängig davon, welche Aufgaben die Künstliche Intelligenz in Zukunft übernehmen kann und wird, sollten wir uns schließlich auch die Frage stellen, ob es nicht auch ein zu viel an Technologie am Arbeitsplatz geben kann, in anderen Worten: ob der Einsatz von KI-Tools in allen Bereichen automatisch zu besseren Ergebnissen führt. Sind wir Menschen aufs Ganze betrachtet tatsächlich effizienter und produktiver, wenn wir beispielsweise im Online-Meetings keine Notizen mehr machen müssen, weil dies eine KI im Hintergrund übernimmt? Selbstverständlich spart der Einsatz einer solchen Technologie in diesem Kontext Arbeit ein, doch Studien aus der Neurowissenschaft legen schon seit geraumer Zeit nahe, dass man mit einer einfachen Notiz – und vor allem mit einer handschriftlichen Notiz – Denkprozesse anstoßen kann, die andernfalls nicht stattfinden würden. Darüber hinaus bringt uns der kleine Schreibakt dazu, unseren Fokus auf die Situation zu lenken und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dieser Erkenntnis folgte letzten Endes auch reMarkable Gründer Magnus Wanberg, als er im Jahr 2013 nach seinen Erfahrungen an der Universität eine neue Art Paper Tablet entwickelte, das dem Umstand Rechnung trägt, dass Papier und Stift immer noch die besten Werkzeuge sind, um kreativ zu werden – und alles andere nur Ablenkung verursacht und die Produktivität hemmt.

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Über Mira Murati:

Mira Murati, CTO bei OpenAI und Teamleiterin von ChatGPT und DALL-E, studierte Maschinenbau am Dartmouth College in New Hampshire und begann ihre berufliche Laufbahn 2011 als Praktikantin bei Goldman Sachs in Tokio. 2012 folgte eine Stelle beim Luftfahrtkonzern Zodiac Aerospace, bevor sie 2013 bei Elon Musks Tesla als Senior Product Managerin für das Model X einstieg und schließlich 2016 zu Leap Motion wechselte, wo sie als VP of Product & Engineering tätig war. Bei OpenAI ist sie seit 2018, seit 2022 in der Rolle als Chief Technology Officer.

 

Über Noam Chomsky:

Noam Chomsky, geboren 1928, ist emeritierter Professor für Sprachwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology und Träger von zahlreichen Ehrendoktorwürden sowie weiteren hohen Auszeichnungen. Neben seiner linguistischen Arbeit gilt Chomsky als einer der bedeutendsten Intellektuellen und Philosophen Nordamerikas. Er ist bekannt für seine Kritik an der US-amerikanischen Außenpolitik, seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit sowie für seine vielen tiefgreifenden Bücher und Essays zu gesellschaftsrelevanten Themen.

 

Über Prof. Dr. Katharina Zweig:

Prof. Dr. Katharina Zweig ist Expertin im Bereich der Graphentheorie und Analyse komplexer Netzwerke und seit 2012 an der Technischen Universität Kaiserslautern, wo sie den deutschlandweit einzigartigen Studiengang „Sozioinformatik“ konzipierte und das Algorithm Accountability Lab leitet. Mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit und deren öffentlichen Vermittlung gilt sie als Wegbereiterin eines differenzierten Dialogs über die Digitalisierung und deren Auswirkung auf die Gesellschaft.

 

Über reMarkable:

reMarkable ist ein norwegisches Unternehmen, das 2013 von Magnus Wanberg gegründet wurde und sich auf die Herstellung von digitalen Schreib- und Zeichengeräten für das gefühlte analoge Arbeiten spezialisiert hat. Das Hauptprodukt des Unternehmens ist ein E-Ink-basiertes Tablet, dessen Oberfläche die Haptik von Papier für alle Schreib-, Lese- und Illustrationszwecke nachahmt. Das reMarkable kommt ohne Apps aus und garantiert damit ein ablenkungsfreies Arbeiten. Seit 2021 ist das reMarkable 2 erhältlich.

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Picture credit © Mira Murati/OpenAI


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