FOKUS – DER SUPERSKILL FÜR KNOWLEDGE WORKERS

FOKUS – DER SUPERSKILL FÜR KNOWLEDGE WORKERS

VON ANJA FAHS
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 02 im April 2023)

Es ist paradox: Die heutige Zeit sollte die Sternstunde von Knowledge Workers sein, aber laut Professor und Autor Cal Newport verlieren sie gleichzeitig mehr und mehr ihre wichtigste Fähigkeit.

Wann konnten Sie sich das letzte Mal vollkommen in eine Aufgabe vertiefen? Und ich meine wirklich vertiefen – so sehr, dass Sie nichts mehr um sich herum wahrgenommen haben und die Stunden ins Land zogen, ohne dass Sie müde wurden oder sich ablenken ließen? Wenn es Ihnen geht wie den meisten Menschen in der heutigen Zeit, dann sind diese immersiven Momente selten geworden. Ablenkung droht überall; unsere Smartphones blinken und vibrieren beinahe ohne Unterlass, und wenn sie eine Zeit lang ruhig dalagen, baut sich irgendwann diese Spannung auf in Erwartung, dass es gleich, jetzt gleich wieder passiert. Nicht umsonst spricht man mittlerweile von einer Sucht nach Ablenkung. In der Millisekunde, in der wir in eine Situation geraten, in der potenziell Langeweile aufkommt, zerren wir unsere Smartphones aus der Tasche und beginnen, uns durch Twitter, Instagram & Co. zu scrollen. Der Grund liegt darin, dass die Erleichterung durch jegliche Ablenkung Dopamin ausschüttet – und unser Gehirn liebt Dopamin!

Es sind aber nicht nur das Smartphone und die Social Media-Kanäle, die unsere Fähigkeit, uns zu konzentrieren, verkümmern lassen. Auch an unseren Arbeitsplätzen warten unzählige Dinge, die an unserer Aufmerksamkeit zerren. Slack-Nachrichten, E-Mail-Benachrichtigungen, spontane Meetings, Kollegen und Kolleginnen, die „nur mal kurz vorbeischauen wollen“ – das Gefährliche dabei: All diese kleinen Unterbrechungen und das Jonglieren unterschiedlichster Aktivitäten und Aufgaben suggerieren uns Produktivität, sodass wir am Ende des Tages erschöpft den Laptop zuklappen. Die wichtige Präsentation für das Managementmeeting oder der Beitrag, der noch vor Deadline geschrieben und redigiert werden muss? Aufgaben, die eine längere Zeit ungestörte Aufmerksamkeit verlangen, werden auf die lange Bank geschoben. Das stresst nicht nur; unterm Strich sinkt auch die Produktivität jedes Einzelnen, weil die Menge an wirklich werthaltiger Arbeit sinkt.

Das Schlimme ist: Selbst wenn man diese Muster sieht und nach Wegen sucht, sie zu durchbrechen und eine Umgebung zu schaffen, in der eine tiefe Fokussierung möglich ist, wird das am Anfang kaum gelingen. Wie ein Sportler seinen Körper kontinuierlich trainieren muss, um in seiner Disziplin zu glänzen, müssen Knowledge Workers ihre Aufmerksamkeit trainieren, um diesen immersiven Zustand der Konzentration in dem Maße herbeirufen zu können, wie es notwendig ist, um ihre Produktivität angemessen zu steigern.

Dafür gibt es ganz unterschiedliche Wege, Übungen, Tipps und Ansätze wie die „produktive Meditation“, bei der während eines Spaziergangs über genau ein Problem nachgedacht werden soll. Nach jeder Ablenkung soll die Aufmerksamkeit wieder auf das Problem gelenkt werden, sodass während der Dauer des Spaziergangs ein Fortschritt in der Lösung dieses Problems verbucht werden kann.

Dieser Tipp stammt von Cal Newport, Computer Science Professor an der Georgetown Universität, der gleich mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben hat und damit nicht nur Knowledge Workers, sondern auch Studenten dabei helfen will, ihr Verlangen nach Ablenkung abzustellen und produktiver zu arbeiten. Dazu gehört auch ein grundlegender Ansatz: Anstatt – wie es viele von uns wohl schon ausprobiert haben – einen gewissen Zeitraum ganz ohne Ablenkung einzuplanen und eine entsprechende Umgebung für diesen Zeitraum zu schaffen, sollte es andersherum sein: Planen Sie die Zeiten, in denen Sie Ablenkung zulassen und machen Sie die ablenkungsfreie Umgebung zu Ihrem „New Normal“. Für viele Menschen klingt das sehr radikal – schließlich sind Smartphone und Internet längst so verflochten in unseren Alltag, da klingen Forderungen wie „A World Without Email“ fast schon ketzerisch.

Und doch hat es Newport mit genau diesem Titel zum New York Times, Bestseller geschafft und scheint damit wohl einen Nerv getroffen zu haben. Auch seine weiteren Bücher „Digital Minimalism: Choosing a Focused Life in a Noisy World“ und „Deep Work: Rules for Focused Success in a Distracted World“ verkauften sich millionenfach. Der Grund, warum es diese Bücher braucht, ist, dass wir diese permanente Ablenkung und ihre Auswirkung auf unsere kognitive Leistungsfähigkeit dramatisch unterschätzen. Selbst wenn wir davon überzeugt sind, uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren, checken wir dennoch meist regelmäßig unsere E-Mails oder werfen „nur einen ganz kurzen Blick“ auf das Smartphone. Kann ja schließlich nicht so schlimm sein. Newport aber sagt, dass auch jeder noch so kleine Wechsel der Aufmerksamkeit massive negative Auswirkungen auf unser Denken, auf unsere Arbeit hat. Das ist auch wissenschaftlich belegt: In Experimenten von Professor Sophie Leroy mussten die Probanden kognitiv anspruchsvolle Aufgaben lösen und zu irgendeinem Zeitpunkt wurden sie kurz dabei gestört – ihre Aufmerksamkeit nur für einen Moment von der Aufgabe abgelenkt. Das Ergebnis: Die kognitive Leistungsfähigkeit sank rapide ab – und das für eine ganze Weile, selbst nachdem die Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgabe gelenkt wurde. Und genau das passiert, wenn wir nur mal kurz auf unser Smartphone schauen, während wir davon ausgehen, dass wir uns eigentlich ganz gut konzentrieren.

Hier liegt der Knackpunkt in unserem heutigen Arbeitsleben, das so sehr geprägt ist von ständigem E-Mail-Verkehr. Diese Art von Arbeit, dieses ständige Hin und Her von E-Mail-Nachrichten, ist sehr einfach und bequem, aber laut Newport reduziert es den Output unserer Gehirne dramatisch – und die sind ja im Grunde die Hauptressource der Unternehmen, die auf Knowledge Work basieren. In einem Podcast von NPR sagte er: „Niemand hat je Reichtum erlangt, weil er besonders gut E-Mails senden und empfangen kann. […] So wie ich das sehe, haben wir eine Kultur von Bequemlichkeit und Simplizität im Wissenssektor geschaffen, und das zulasten von Effektivität und echter Produktivität. Und das ist etwas, das wir ändern müssen.“ Damit kommt er auch zu dem Schluss, dass die Fähigkeit, sich über einen langen Zeitraum so auf eine Aufgabe oder ein Problem zu konzentrieren, dass wirklich werthaltige Ergebnisse dabei herauskommen, für die Unternehmen und für uns als Wirtschaft und Gesellschaft immer wertvoller – auch weil rarer – wird. Produktivität als Differenzierungsmerkmal im Arbeitsmarkt? Durchaus ein denkbares Szenario. Die Frage ist nur, ob die heutige Arbeitskultur mit den Konsequenzen daraus leben kann. Neben dem Ausblenden jeglicher Ablenkung empfiehlt Newport nämlich das aktive Planen und Strukturieren der eigenen verfügbaren Zeit. Das schließt auch das bedingungslose Beschützen dieser Fokuszeiten ein – egal, wie sehr man vielleicht damit aneckt: „Ich habe mich sehr gut damit eingerichtet, dass ich Menschen verärgere. Ich bin schlecht in E-Mail. Ich habe einfach nur die Erwartungen gesetzt, dass ich nicht gut erreichbar bin. Ich bin niemand, von dem du eine schnelle Antwort erwarten kannst. Und natürlich führt das zu Schwierigkeiten. Aber all das erlaubt mir, regelmäßig lange Phasen in vielen meiner Tage für tiefes Denken zu reservieren.“ Newport plädiert also dafür, dass wir lernen, respektvoller und fast schon geiziger mit unserer Zeit umzugehen und sie mit bedeutungsvollerer Arbeit zu füllen, um nicht nur produktiver zu sein und bessere Arbeitsergebnisse zu liefern, sondern auch, um ein zufriedeneres Leben zu führen. Daher begrüßt er auch Bestrebungen, eine Vier-Tage-Woche einzuführen; schließlich bliebe den Mitarbeitenden in einem solchen Modell nichts anderes übrig, als die wenige Zeit besser zu nutzen.

Auch ließ er es sich nicht nehmen, die Neuigkeiten aus dem Meta-Headquarter zu kommentieren, die das Ende ihrer Großraumbüroära eingeläutet haben und nun die Cubicles – in Form von schicken, runden und lärmabsorbierenden Wänden für jeden Arbeitsplatz – ihr Revival feiern: „Der Boom der Großraumbüros steht zusammen mit der Verbreitung von Slack für den Höhepunkt der Ablenkungskultur zu Beginn des 21. Jahrhunderts – eine Zeit, in der der Wissenssektor jegliche Realitäten darüber, wie das menschliche Gehirn die schwierige Aufgabe der Wertschöpfung durch Nachdenken tatsächlich angeht, völlig außer Acht gelassen hat. Die Tatsache, dass Meta das Buch über sein unglückseliges Großraumbüro-Experiment schließt, ist vielleicht ein Hoffnungsschimmer, dass wir uns auf eine bessere Zukunft zubewegen.“.

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Über den Autor:

Cal Newport ist Professor für Computer Science an der Georgetown University und Autor unterschiedlicher Bestseller, darunter „A World Without Email: Reimagining Work in an Age of Communication Overload”, „Digital Minimalism: Choosing a Focused Life in a Noisy World” und „Deep Work: Rules for Focused Success in a Distracted World”. Er hat keinen einzigen Social Media-Account.

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Picture credit © Penny Gray Photography


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