DER TRAUM VOM TÄGLICHEN FLIEGEN

DER TRAUM VOM TÄGLICHEN FLIEGEN

VON ANJA FAHS
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 01 im November 2022)

Paris und Singapur testen den Einsatz von Volocopter Flugtaxis

Verkehrschaos, verstopfte Straßen und stundenlange Staus sind die Realität in vielen Metropolen der Welt. Mit ihnen einhergehen Lärmbelästigung und Luftverschmutzung. Auch Paris hat regelmäßig zur Rushhour mit einem stockenden Verkehrssystem zu kämpfen. 2024 stehen hier die Olympischen Spiele an, eine Großveranstaltung, die zur kompletten Überlastung der französischen Hauptstadt führen könnte. Eine Lösung sieht das deutsche Start-up Volocopter mit seinem Flugtaxi „VoloCity“, das im März dieses Jahres auf dem Flugplatz Pontoise nahe Paris bereit getestet wurde und bei den Olympischen Spielen in zwei Jahren zum Einsatz kommen soll. Die elektrischen Senkrechtstarter (eVTOL) sollen dann die Flughäfen der Stadt mit den Sportstätten verbinden. Zwar konnte Volocopter schon mehrere bemannte Testflüge seiner Fluggeräte im Rahmen einer Testreihe durchführen, um beispielsweise Lärmemissionen zu messen, aber bis zur Aufnahme eines Probebetriebs sowie Flügen mit Passagieren sind noch verschiedene Zulassungen erforderlich.

Weltweit gibt es etliche Start-ups, die sich mit neuen Urban Air Mobility-Konzepten (UAM) auseinandersetzen, Designs für futuristische Fluggeräte entwickeln und das Mobilitätskonzept der Zukunft versprechen. Sie alle lockt ein riesiges Marktpotenzial, das bis 2050 auf jährlich 90 Milliarden US-Dollar geschätzt wird (Unternehmensberatung Roland Berger). In Deutschland verfolgen zwei junge Unternehmen konkurrierende Ansätze. Lilium aus Bayern und Volocopter aus Bruchsal in Baden-Württemberg. Volocopter gilt aktuell als Favorit aufgrund seines ehrgeizigen Zeitplans, denn das Start-up will seine Flugtaxis schon 2024 in den kommerziellen Betrieb nehmen. Selbst laut der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) sei der Plan realistisch zu betrachten. Die EASA hatte im vergangenen Jahr prognostiziert, dass die ersten Flugtaxi-Pilotprojekte in der EU innerhalb von drei bis fünf Jahren marktreif sein könnten. Auch in den USA gibt es die ersten konkreten Zahlen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Meldung hat die US-Fluggesellschaft United Airlines 15 Millionen Dollar in die Embraer-Tochter Eve Air Mobility investiert. Geplant ist laut United unter anderem der Kauf von 200 viersitzigen Elektroflugzeugen plus einer Option auf 200 weitere. Die Auslieferung sei für 2026 geplant.

Aber noch ist der Weg weit für Volocopter. Zwar hat das Unternehmen seit der Gründung 2011 bei Investoren – darunter Deutsche Bahn, Intel und Mercedes-Benz – mehr als 495 Millionen Euro eingesammelt, aber noch stehen die Zertifizierungen der Flugtaxis durch die Behörden aus. Prominente Unterstützung hat Volocopter unter anderem durch den früheren Mercedes-Benz-Chef Dieter Zetsche, der seit 2020 im Volocopter-Beirat sitzt und privates Geld in das Unternehmen investiert hat: „Wenn das funktioniert, ist es eine neue Welt. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten – in puncto Lärmbelastung und Emissionen.“ Zetsche soll dem Flugtaxibauer bei der strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens helfen. Auch DB Schenker will ein Stück vom Volocopter-Kuchen, so sagt Jochen Thewes, Vorstandsvorsitzender von DB Schenker: „Wir sind überzeugt, dass die Technologie von Volocopter das Potenzial hat, Transportlogistik in eine neue Dimension für unsere Kunden zu befördern.“

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Gestiegene Akzeptanz gegenüber Drohnen und Flugtaxis in Deutschland

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Auch die Bundesregierung in Deutschland hat die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale der unbemannten Luftfahrt erkannt und mit dem 2020 veröffentlichten „Aktionsplan Unbemannte Luftfahrtsysteme und innovative Luftfahrtkonzepte“ einen strategischen Leitfaden für die Entfaltung der unbemannten Luftfahrt in Deutschland vorgelegt. So bestätigt uns eine Sprecherin des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) auf Anfrage: „Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass die Unbemannten Luftfahrtsysteme (UAS) und electric Vertical Take-Off and Landing aircraft (eVTOLs) ein großes Potenzial besitzen, sich zu einem neuen Verkehrsträger zu entwickeln, der umweltfreundlich, autonom und leise zum Nutzen der Bevölkerung die bestehenden Verkehrsinfrastrukturen ergänzen kann.“

Jedoch war es bisher um die Akzeptanz von Drohnen und Flugtaxis in der breiten Bevölkerung Deutschlands nicht gerade zum Besten gestellt. So gibt es in der deutschen Gesellschaft Bedenken, dass ihre Privatsphäre gestört werden könnte, Drohnen für kriminelle Taten benutzt oder dass es zu Kollisionen und Abstürzen kommen kann. Ein weiterer Hauptgrund ist die mangelnde Nachhaltigkeit und die fehlende Überzeugung, dass sich mit Flugtaxis tatsächlich Verkehrsprobleme lösen lassen.

Dies hat sich jedoch laut einer neuen Studie des Verbands Unbemannte Luftfahrt (VUL), die im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde, in den letzten drei Jahren geändert. Sie zeigt, dass der Einsatz von Drohnen für zivile Zwecke von über der Hälfte der Befragten akzeptiert wird. So sind 85 Prozent der Deutschen dafür, Drohnen bei Naturkatastrophen zu nutzen, um Hilfseinsätze zu unterstützen. Das findet längst weltweit statt. Auch der Drohneneinsatz in der Landwirtschaft wird von mehr als drei Vierteln der Deutschen begrüßt. Hier werden die Geräte beispielsweise zur Begutachtung von Ernteschäden eingesetzt. „Je näher jedoch der Einsatz dem Alltag der Befragten kommt, desto eher lehnen sie Drohnen ab“, heißt es beim VUL. Die Lieferung von Paketen oder Essen in Großstädten lehnt fast jeder Zweite ab. Das gilt auch für den Einsatz von Drohnen als Spielzeug.

Im Vergleich zum Jahr 2019 können sich inzwischen aber immer mehr Menschen vorstellen, ein Flugtaxi für bestimme Zwecke zu nutzen. Je nach Art der Strecke würden zwischen 39 und 45 Prozent der Befragten in ein eVTOL steigen. Mit 45 Prozent ist die Zustimmung für Strecken zwischen zwei Städten bis 200 Kilometer am höchsten (+18 Prozentpunkte zu 2019). In jedem Fall möchte die Mehrheit lieber ein Flugtaxi nutzen, das von einem Piloten statt autonom gesteuert wird. Die positive Einstellung gegenüber Flugtaxis zeigt sich zudem in der Bereitschaft, höhere Preise für einen Flug zu bezahlen: 50 Prozent der Befragten würden mehr Kosten als bei einer Taxifahrt in Kauf nehmen, 26 Prozent würden sogar mindestens das Doppelte bezahlen.

„Die unbemannte Luftfahrt kann sich in Deutschland nur mit der Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung entfalten. Wir haben die Menschen deshalb frühzeitig einbezogen: zum Beispiel im Hinblick auf den Schutz personenbezogener Daten, die Privatsphäre und die Umwelt“, so das Bundesministerium für Digitales und Verkehr.

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Urban Air Mobility-Ökosystem Singapur

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In Zukunft sollen sogenannte Urban Air Mobility-Ökosysteme in Städten den nachhaltigen und sicheren Betrieb von Flugtaxis gewährleisten. Nicht nur Paris hat Interesse an einem zukünftigen Einsatz von Flugtaxis, vor allem Asien mit seinen riesigen Ballungszentren pusht die Entwicklung von UAM-Konzepten. Singapur ist eine der ersten Städte, in denen beispielsweise Volocopter in den Betrieb gehen soll. Die enge Zusammenarbeit währt seit einigen Jahren. 2019 absolvierte das deutsche Unternehmen über der berühmten Marina Bay den ersten öffentlichen Testflug eines bemannten Flugtaxis in einem asiatischen Stadtzentrum, in zwei Jahren sollen dort ihre elektrischen Flugtaxis starten.  Jüngst hat Volocopter seine erste öffentliche „VoloCity“-Ausstellung eröffnet, um auch die breite Bevölkerung mit dem Thema vertraut zu machen. „Singapur heißt Unternehmen wie Volocopter, die hier ganz neue Industrien aufbauen wollen, sehr herzlich willkommen. Wir freuen uns über die Aussicht, das Advanced Air Mobility-Ökosystem in Singapur aufzubauen, und hoffen, dass die Öffentlichkeit auf der hiesigen Ausstellung mehr über diese neue Form der urbanen Mobilität lernen kann“, so Gan Kim Yong, der Handels- und Industrieminister Singapurs.

Doch eigentlich überrascht das Interesse Singapurs an fliegenden Taxis, denn Autos sind wegen der hohen Steuern absolute Luxusware, es gibt kaum Staus, der öffentliche Nahverkehr gilt als beispielhaft. Trotzdem treibt die Regierung UAM-Projekte voran. „Die urbane Luftmobilität ist ein aufstrebender Bereich innerhalb des breiteren Mobilitätssektors, den wir als Wachstumsbranche für Singapur identifiziert haben. Singapur ist ein wichtiger regionaler Teststandort für autonome Autos, Elektrofahrzeuge und urbane Luftmobilität, darunter der erfolgreiche Testflug von Volocopter im Jahr 2019. Dies wird zum Aufbau neuer Fähigkeiten für unser Mobilitäts-Ökosystem beitragen und viele spannende Möglichkeiten für Singapur schaffen“, erklärt Tan Kong Hwee, Executive Vice President des Economic Development Board Singapur.

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Verpasst Deutschland den fliegenden Anschluss?

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Wird Deutschland hier von Asien abgehängt und eine im eigenen Land entwickelte Technologie verlieren? Dazu sagt das Bundesministerium: „In Deutschland gibt es im Bereich der unbemannten Luftfahrt eine fruchtbare Forschungslandschaft und viele Unternehmen, die weltweit Spitzenreiter bei der Entwicklung von Drohnen und Flugtaxis sind. Die Bundesregierung unterstützt die Forschung und Entwicklung von eVTOLs und der für den Betrieb von Flugtaxis erforderlichen Infrastrukturen, zum Beispiel im Rahmen des Luftfahrtforschungsprogramms (LuFo), des mFUND und des Förderprogramms Innovative Luftmobilität. Zusammen mit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) arbeiten wir an Regeln zur Zertifizierung von Flugtaxis und Lizenzierung der Steuerer. Die intensiven Arbeiten zielen darauf ab, dass die ersten kommerziellen Flugtaxis in Deutschland 2024 ihren Betrieb aufnehmen können.“ Aber wird das reichen? Mehr Aufklärungs- und Unterstützungsbedarf sieht der Vorsitzende des VUL-Lenkungsausschusses Michael Garvens: „Es ist positiv zu werten, dass die Nutzungspotenziale von Drohnen und Flugtaxis in immer breiteren Bevölkerungsschichten wahrgenommen werden. Industrie und Politik müssen aber noch mehr erklären, wie Drohnen und Flugtaxis funktionieren und wo ihr größtes Potenzial liegt. Drohnen und Flugtaxis stehen an der Schnittstelle von Digitalisierung und Elektrifizierung und repräsentieren wegweisende Trends der Luftfahrt hin zu nachhaltigem Fliegen. Dies bedarf weiterer Unterstützung der Branche durch Politik und Behörden. Die Europäische Kommission geht hier mit der Erstellung einer Drone Strategy 2.0 mit gutem Beispiel voran“.

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Erfolgreiche Marktkonzepte sind notwendig

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Jetzt arbeiten Volocopter und auch Lilium mit Hochdruck an den Zertifizierungen ihrer Fluggeräte und müssen sich den Tests und Aufgaben der Luftfahrtbehörde stellen. Wenn sie diese erhalten, wird sich zeigen, ob sich das jeweilige Geschäftsmodell auch langfristig bewährt. Die erfolgreiche Vermarktung ihrer Produkte wird eine große Herausforderung für beide Start-ups werden, sind doch die allgemeinen Marktprognosen in den letzten Jahren stetig nach unten korrigiert worden. Beide Unternehmen verfolgen zum Teil unterschiedliche Konzepte. Volocopter konzentriert sich eher auf die Kurzstrecke innerhalb der City. Sie starten in Singapur in einem ersten Schritt mit kurzen Touristenrundflügen. Lilium will mit einer operativen Reichweite von 175 Kilometern Städte verbinden, zwischen denen es beispielsweise keine gute Zugverbindung gibt. Sie setzen unter anderem auf eine Partnerschaft mit NetJets, einem Anbieter für die Vermietung von Geschäftsreiseflugzeugen. Grundsätzlich ist jedoch die Business-Idee die gleiche: mit eigenem Streckenbetrieb Touristen, Geschäftsreisende und Pendler an ihr Ziel bringen. Aber dazu müssen sie ihre Flugtaxis auch verkaufen. Vorbestellungen sollen bei beiden Unternehmen bereits vorliegen, jedoch sind die Verträge noch nicht unterschrieben.

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www.volocopter.com

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Picture credit © Volocopter


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